Vermiβte Kinder: Kate's Message

Erst seitdem Madeleine von uns genommen wurde, ist Gerry und mir bewuβt geworden wie viele Kinder weltweit jedes Jahr vermiβt werden. Das Ausmaβ des Problems ist gewaltig – in der Tat erschreckend. Ich habe mich inzwischen viele Male selbst gefragt: "Wieso wuβte ich nichts davon? Bin ich so naiv – oder ist es einfach die Tatsache, daβ das Problem an sich, aus welchen Gründen auch immer, der Öffentlichkeit nicht wirklich zugänglich gemacht wird?"

Es ist unmöglich eine genaue Zahl für die Menge vermiβter Kinder anzugeben, aber genügt es nicht allein schon festzustellen, daβ es Hunderte und Tausende sind. Dazu gehören: (von Zuhause) davongelaufende Kinder, familieninterne Entführungen (durch Eltern oder andere Familienmitglieder) und Entführungen durch Fremde (wie in Madeleines Fall). Der Grund weshalb die Anzahl der Fälle vermiβter Kinder nicht genauer angegeben werden kann ist, daβ bisher (in Groβbritannien und den meisten anderen Ländern Europas) keine einheitliche Methode für das Sammeln, Festhalten und Kategorisieren von Daten erarbeitet worden zu sein scheint. Ohne eine solche einheitliche Methode ist es nicht möglich, Strategien zu entwickeln, um das Problem gezielter anzugehen – die Kinder zu finden, zurückzuholen und sobald wie möglich mit ihren Familien wieder zu vereinen. PACT ("Parents and Abducted Children Together"="Eltern und Entführte Kinder Zusammen") ist eine der Organisationen in Groβbritannien, die dafür eintreten, daβ solche Vorgehensweisen zumindest auf nationaler Ebene von der Regierung eingesetzt werden. Sicher würden unsere Kinder das verdienen?

Madeleines Entführung war eher auβergewöhnlich, da sie eine Entführung eines ausländischen Staatsangehörigen war. Das brachte zusätzliche Schwierigkeiten mit sich, nicht zuletzt die Sprachbarriere. Angesichts der Tatsache, daβ Leute und Familien heutzutage recht ausgedehnt reisen, speziell innerhalb eines "grenzenlosen" Europas, sind wir der Meinung, daβ eine europaweite Antwort auf das Problem der Kindesentführung unerläβlich ist. Ich würde das für einen nicht unvernünftiges Ersuchen an Länder, die zur EU gehören, halten?

Es ist fair zu sagen, daβ die USA uns wahrscheinlich mindestens zwanzig Jahre voraus sind, wenn es um den Umgang mit dem Problem vermiβter und entführter Kinder geht. NCMEC ("National Center for Missing and Exploited Children"="Nationales Zentrum für Vermiβte und Ausgebeutete Kinder") wurde 1984 von John und Reve Walsh gegründet – nachdem sie traurigerweise den Mangel an einer effektiven Vorgehensweise und die damit einhergehende Frustration erfahren muβten als ihr eigener Sohn Adam entführt und später (1981) ermordet in Florida aufgefunden wurde. NCMEC bietet Strafverfolgungsbehörden inzwischen ein breites Spektrum an wertvollen Resourcen, die helfen, Fälle vermiβter und ausgebeuteter Kinder zu ermitteln als auch Ausbildung und Studien zu ermöglichen. Diese Resourcen kombiniert mit dem AMBER Warnsystem, das in den USA eingesetzt ist (=das landesweite Bestreben zwischen den verschiedenen Polizeibehörden in Kooperation mit den Medien, die örtlichen Radiosender umgehend mit Informationen und Bildern zu decken, wenn ein Kind entführt wird) haben zur sicheren Rettung vieler Kinder beigetragen und geführt. Es muβ kaum noch einmal betont werden: die Amerikaner haben uns in diesem Zusammenhang schon jede Menge Erfahrung und Wissen voraus und wir sollten bereit sein, von ihnen zu lernen, wenn wir Europa und den Rest der Welt zu einem sicheren Ort für unsere Kinder machen wollen. In den letzten Jahren wurden ähnliche "Kinderrettungs-Warnsysteme" in verschiedenen Ländern Europas eingeführt – Belgien, Frankreich, Groβbritannien, Griechenland – aber wir haben noch einen weiten Weg vor uns.

Gerry und ich sind schon so manches Mal dafür kritisiert worden, Madeleines Verschwinden so an die Öffentlichkeit getragen zu haben. Wir haben getan, was uns zu den jeweiligen Zeitpunkten das Beste erschien – offensichtlich hatten wir keine Erfahrung mit derartigen Märtyrien. Zum Glück hat NCMEC uns vergewissert, daβ es der richtige Weg war. Leute fragen uns (oftmals kritisch): "Warum bekommt Madeleine so viel Aufmerksamkeit, wenn es doch tausende andere vermiβte Kinder gibt weltweit?" Meinem Gefühl nach ist die Publicity, die Madeleines Entführung umgibt, nicht unangebracht. Jedem Kind in einer solchen Situation sollte genauso viel Aufmerksamkeit zuteil werden, doch sollte es nicht an der Familie gelegen sein, diese anzetteln zu müssen. Die Tatsache, daβ der allgemeinen Öffentlichkeit Madeleines Notlage bewuβt gemacht wurde und bewuβt ist, hat im Mindesten auch auf andere Fälle vermiβter Kinder und auf das Ausmaβ des Problems in seiner Ganzheit aufmerksam gemacht, woraus auch wir wiederum ein kleines biβchen Genugtuung schöpfen können und schöpfen.

Alle vermiβten Kinder sind anfällig dafür, ausgebeutet zu werden - diese Anfälligkeit schlieβt sexuelle Ausbeutung mit ein, die in vielen der Fälle einer Enführung durch Fremde, in denen ein Motiv festgestellt werden kann, das Motiv ist. Die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie ist trauriger- und schockierenderweise weltweit weit verbreitet. Es ist ein millionenstarkes Geschäft, angekurbelt durch die zunehmend hinzukommende Nutzung des Internets und der "Heiβhunger" auf jüngere Opfer nimmt stetig weiter zu. Wieder einmal platzte eine der Luftblasen, in der ich bisher mein Leben gelebt hatte, als ich begann, die Fakten im Zusammenhang mit dieser inzwischen globalen Krise zu erkunden und zu erfassen. Als Gerry und ich durch Europa reisten, um zu versuchen, Madeleines Entführung der Öffentlichkeit nahe zu legen und um Hilfe zu bitten, wurde uns die kaum zu glaubende Realität solch horrender Aktivitäten und deren Ausgedehntheit in unserer sogenannten zivilisierten und "kinderfreundlichen" Gesellschaft wiederholt bewuβt gemacht. Wie nur können derartige "Unternehmen" von uns allen gut geheiβen und toleriert werden? Was sind die Vorzüge für unsere Kinder, einer EU anzugehören, in der einige Mitgliedsländer Kinderpornografie als LEGALEN Zeitvertreib anbieten? Die verwundbarsten Mitglieder unserer Gesellschaft sind unsere Kinder und sie verdienen Besseres. Der Mangel an Registern für sexuelle Straftäter, der Mangel an verläβlichen Möglichkeiten der Strafverfolgung für bekannte Straftäter und fehlende Pflichtbedingungen für ein polizeiliches Führungszeugnis selbst allein nur für alle diejenigen, die mit Kindern arbeiten, sind weitere Gebiete, die in vielen Teilen Europas Grund zur Besorgnis darstellen. Meine Augen wurden sicherlich für eine ganz neue Welt da drauβen geöffnet – eine sehr besorgniserregende.

Als Elternteil eines entführten Kindes kann ich Ihnen sagen, daβ es die schmerzhafteste, quälendste Erfahrung ist, die Sie sich jemals vorstellen können. Meine Gedanken an die Angst, Verwirrung und den Verlust an Liebe und Sicherheit, den meine kostbare Tochter aushalten muβ, sind untragbar – sie verkrüppeln einen richtig. Und doch bin ich nicht das Opfer, Madeleine ist es. Kein Kind sollte JEMALS etwas so Schreckliches erfahren und durchleben müssen.